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Johann Karl Wilhelm Ose (1798-1880)

seine Ehefrau Emilie Auguste geb. Voigt (1810-1848)

und ihre Familie

Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Nachträge und Ergänzungen

Wieder zurück nach Dresden als Schwadronsarzt bei der Garde
Schon bald nach diesem letzten Familienereignis werden die Koffer bei Familie Ose wieder gepackt und auch der Möbelwagen. Vater, Mutter und die drei kleinen Jungen Oswald, Hugo und Eugen reisten mit der Postkutsche - Fahrtdauer ca. l0 Stunden - nach Dresden. Denn Karl Ose war mit Wirkung vom 1. September 1836 zu dem in Dresden liegenden Garde-Reiter-Regiment als Schwadronsarzt versetzt worden.*
Das Gardereiter-Regiment war 1822 aus dem Regiment "Leibkürassiergarde" entstanden, war jedoch um eine 5. Schwadron vermehrt worden. Die Versetzung von Karl Ose in die neue Stellung darf man als Auszeichnung ansehen, einmal, weil Reiterregimenter stets angesehener als Infanterieregimenter waren, dann aber auch weil es sich um eine Garderegiment handelte, später sprach man auch vom Leibregiment. Es war gewissermaßen insbesondere vorgesehen zum Schutz des Herrschers. Es ist kaum zu vermuten, dass Karl Ose um eine Versetzung zu dieser Einheit nachgesucht hat. Die Versetzung zu einem Kavallerieregiment setzte voraus, dass man reiten konnte. Ob es Karl Ose in Wurzen gelernt hat?

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* Eine Schwadron bei der Kavallerie entspricht einer Kompagnie bei der Infanterie

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Die Uniform der Ärzte war bei den Gardereitern dieselbe wie bei der Infanterie.

Die Gardereiter selbst trugen weiße Koller mit gelben Knöpfen, mit hellblauen Aufschlägen, ferner den schweren Kürassiersäbel mit Messinghaukorb und den charakteristischen Raupenhelm /Farbbilder siehe Teil 1, vorige Seite Mitte)

Die Besoldung der sächsischen Armee war seit 1810 folgende:
Major loo Taler/Monat
Hauptmann 1.K1. 83 Taler/Monat
Hauptmann 2.K1. 41 2/3 Taler/Monat
Reg.-Chirurg 30 Taler/Monat
Premier-Leutnant (Obeleutnant) 22 Taler/Monat
Sous-Leutnant Leutnant 15 Taler/Monat
Kompagnie-Chirurg 7 1/2 Taler/Monat
Feldwebel 6 1/2 Taler/Monat
Sergeant 4 1/2 Taler/Monat
Korporal 3 1/2 Taler/Monat
Soldat 2 1/2 Taler/Monat

Ein Kompagniearzt wurde damals viel schlechter als ein Leutnant bezahlt, kaum besser als ein Feldwebel. Warum dies der Fall war, ist mir nicht bekannt. Für eine große Familie wie für die Osesche war dies ein bescheidenes Einkommen und man musste sehr sparsam und bescheiden leben.

Die Familie Ose in Freud und Leid
Nur wenige Monate nach der Übersiedlung stirbt das jüngste Kind Eugen (22. November 1836) an Krämpfen in der Wohnung in der Reiterkaserne (siehe Dresden Stadtplan, BC2).
Familie Ose hatte dort offensichtlich eine Art Dienstwohnung. Die Reiterkaserne lag in Dresden dort, wo sich bis 1945 der Zirkus Sarassani befand, östlich der Hauptstraße in Dresden-Neustadt. In der Nähe befand sich auch das Militär-Krankenhaus, fast unmittelbar an der Elbe.

In der Wohnung in der Reiterkaserne kommt am 21.September 1837 das erste Mädchen der Familie Karl Ose zur Welt: Caroline Lidda, die spätere Frau Pöhler in Liebschwitz. Getauft wird sie am 22. Oktober 1837 in der Dreikönigskirche in Dresden-Neustadt, in der auch ihre Eltern getraut worden waren.

Paten waren:
- Frau Kammermusikus Franz aus Dresden,
- Dr. Zeidler aus Ebersbach/Lausitz
- Frau Johanna Sophia Freyer, Färbersehefrau aus Meißen.

Von der letztgenannten existiert noch der Patenbrief (Format 98x7o mm) mit folgendem Text, dessen Rechtschreibung modernisiert wurde, wie auch in diesem Heft bei allen älteren Schriftstücken:
"Du bist, mein Patchen, nun geweiht,
Dich künftig Christ zu nennen.
Vergiß es nie, mit Redlichkeit
Durch Taten zu bekennen:
Denn nicht der Name, nur die Tat
Ist Deines Glückes echte Saat.
Hierbei denke oft Deiner Pate Johanna Sophia Freyer. Meißen, den 22.Oktober 1837"

Der weiße und mit Gold bedruckte Umschlag dieses Patenbriefes trägt den Aufdruck: "Erste Weihe in den Christenbund."
In welcher Beziehung im einzelnen die Paten zur Familie Ose standen, wissen wir nicht. Das Patenkind Lidda hat sich später um seinen Vater und seine Geschwister größte Verdienste erworben, als sie nach dem frühen Tod ihrer Mutter - sie war damals erst 11 Jahre alt - den väterlichen Haushalt führte und ihre Geschwister betreute.

Mit Lidda ist das Eis gebrochen. In den nächsten fünf Jahren folgen weitere vier Mädchen:

Caroline Amanda, geboren am 25. Dezember 1838
Caroline Clara, geboren am 5. Juni 184o
Caroline Cäcilie, geboren am 25. August 1841
Caroline Elisabeth, geboren am 6. November 1842

Während Amanda, Cäcilie und Elisabeth in der Reiterkaserne geboren werden, kommt Clara im Alleegäßchen 2 auf die Erde (Das Alleegäßchen war eine kleine schmale Seitenstraße in der Neustadt, die von der Hauptstraße gegenüber etwa dem Neustädter Rathaus abging. Das Alleegäßchen existiert nicht mehr, es ist überbaut; Dresden Straßenkarte B2).
Getauft werden alle Mädchen in der Dreikönigskirche in Dresden-Neustadt. Alle Paten aufzuführen, dürfte sich kaum lohnen. Interessanterweise erscheinen ausser Voigtschen Verwandten und Personen aus Beamten- und Offizierskreisen auch solche aus Handwerkerkreisen, z.B. bei Cäcilie der Weißbäckermeister Gerber und die Frau des Weißbäckers Hübner. Bei Clara wird unter den Paten selbst Emilie "als Mutter des Kindes" genannt. Was dies zu bedeuten hat, ist unklar. Besonders vornehme Paten hatte Elisabeth:
Dr. Sonnenkalb, der spätere Leipziger Universitäts-Professor und Gönner Oswalds während seines Medizinstudiums, ferner Frau Elisabeth von Walujew, die Ehefrau des russischen Generals v. Walujew, der in Pirna bei Dresden lebte. Ihn betreute später Karl Ose als Leibarzt (näheres s.u.).
Es bestanden also schon im Herbst 1842 Beziehungen zwischen v. Walujews und Oses. Es kann durchaus sein, dass Karl Ose schon während seiner Schwadronsarztzeit den General gelegentlich oder regelmäßig betreute. Es waren kaum gesellschaftliche, sondern berufliche Gründe, die diese Beziehungen begründeten. Zudem ergaben sich dadurch zusätzliche Einnahmen für Familie Ose.

Wenn auch Clara im Alleegäßchen zur Welt kam, so braucht daraus nicht geschlossen zu werden, dass die Familie Ose zeitweise aus der Reiterkaserne ausgezogen war. Man könnte sich denken, dass Voigtsche Verwandte, die im Alleegäßchen wohnten, die junge Mutter aufnahmen, um ihr mehr Ruhe zu verschaffen, und dass vielleicht eine andere Verwandte oder Bekannte während dieser Zeit Familie Ose und deren Haushalt betreute.

Karl Ose scheidet aus der Armee aus
Einen Wendepunkt im Leben der Familie Ose bedeutete das Ende des Jahres 1842: am 31. Dezember 1842 scheidet Karl Ose aus der Königlich Sächsischen Armee aus. Als Gründe sind Leistenbruch und Nasenpolypen angegeben, bewertet als Invalidität 2. Grades. Es findet sich auch der Vermerk: "Auf Ansuchen": Er hatte im Sommer 1842 um seine Pensionierung gebeten! Es war einst beim Militär üblich, seinen "Abschied" zu nehmen, wenn man z..B. keine Aussicht mehr auf Beförderung hatte oder einem aus anderen Gründen der "Abschied" nahe gelegt wurde. Man kündigte also gewissermaßen, was ehrenvoll war, und es wurde einem nicht gekündigt, was man als nicht sehr ehrenvoll empfand.

Karl Ose bekam sicher als "pensionierter Schwadronsarzt", wie er sich selbst fortan bezeichnete, eine kleine Pension. Da sein Gehalt sowieso mehr als bescheiden war, reichte diese natürlich für den Unterhalt nicht aus. So hatte er sich sicherlich schon Monate vorher nach einer anderen ärztlichen Tätigkeit umgesehen. So fand er vermutlich schon etwa Mitte 1842 die Möglichkeit, Leibarzt des in Pirna - etwa 15 km südöstlich von Dresden - lebenden russischen Generals von Walujew zu werden. Vielleicht war er auch über sein Ausscheiden aus der Armee gar nicht so unglücklich, da sie ihm wenig ärztliche Erfahrung bot und auch wohl seine Zeit nicht ausfüllte. Wann werden schon Soldaten in Friedenszeiten einmal krank? Die Beziehungen zur Familie von Walujew dürften schon im Frühjahr 1842 aufgenommen worden sein. Dieses Datum ergibt sich aus dem Zeugnis, das Karl Ose nach Abschluß seiner Leibarzttätigkeit Ende Januar 1845 von Frau v. Walujew nach dem Tode ihres Mannes erhielt. Das Originalzeugnis, das leider 1945 verloren ging, war in französischer Sprache ausgestellt. Die Übersetzung ist uns erhalten geblieben. Dort ist eine Zeit von 2 Jahren 8 Monaten angegeben, die Karl Ose in der Familie v. Walujew tätig war. Der Anfang lag also April/Mai 1842, als Karl Ose noch aktiver Militärarzt war.

In den ersten Monaten hat er zusammen mit seinem Vorgänger als Leibarzt, einem Dr. Burker, den russischen General v. Walujew betreut. In dieser Zeit dürfte er kaum schon in Pirna gelebt haben, wie wir das für später annehmen können. Der Abschied von der Armee bedeutete gleichzeitig die Aufgabe der Dienstwohnung in der Reiterkaserne zum 31. Dezember 1842. Man bezog eine Wohnung in Dresden-Neustadt, Rähnitzgasse 17 (Stadtplan A1). Wie die Adressbücher 1844 und 1845 besagen, bewohnte man die 3. Etage. Das Dresdner Adressbuch von 1846 und 1847 gibt die 1. Etage an. Dürfen. wir daraus schließen, dass Karl Ose nach seiner Rückkehr aus Russland eine Privatpraxis eröffnete, wobei er seinen Patienten das viele Treppensteigen ersparen wollte? Wir dürfen dies annehmen, wie noch gezeigt werden wird.

Das Jahr 1843 war in einer Hinsicht sehr traurig für Familie Ose: die beiden jüngsten Kinder sterben: am 8.Januar 1843 stirbt Cäcilie, 1 1/2 Jahre alt, schon in der neuen Wohnung, am 29. Mai 1843 folgt ihrem Schwesterchen, die erst sieben Monate alte Elisabeth.

Noch einige Angaben zur Rähnitzgasse: sie existiert auch heute noch, die meisten alten schönen mehrstöckigen Häuser haben die schweren Luftangriffe auf Dresden am 13./14.Februar 1945 überstanden bzw. sind restauriert worden. Das Grundstück Rähnitzgasse 17, auf dem Oses wohnten, ist jedoch nicht identisch mit der jetzigen Hausnummer 17. Im Dresdner Stadtplan um 1850 ist Nr. 17 ein kleiner von schmalen Häusern umstandener Platz. Nachforschungen ergaben, dass es sich um den sogenannten "Abdankplatz" handelt. Unter "Abdankung" verstand man nach Zedlers Encyklopädie (Leipzig 1732),Bd.l folgendes:

"Abdankung, so wird diejenige Rede genannt, die bei Beerdigung einer Person zu des verstorbenen Nachruhm, zum Trost der Leidtragenden und zu gebührender Danksagung, so denen Leichenbegleitern geschieht, gehalten wird."

Es handelte sich also um eine kurze Feier vor der
Beerdigung. Bei der letztgenannten sprach der Pfarrer in der Kirche oder auf dem Friedhof am Grab. Die "Abdankung" sprach ein Verwandter, Nachbar, Freund, Viertelsmeister oder eine sonst in Beziehung zu dem Toten stehende Persönlichkeit. Man muss dazu wissen, dass noch einige Jahrzehnte im 2o.Jahrhundert der Tote im offenen Sarg in der Wohnung liegen bliebe und der Sarg erst kurz vor der Beerdigung geschlossen wurde. Aus hygienischen und wohl auch ästhetischen Gründen wird heutzutage der Tote schon am Todestag eingesargt und aus dem Haus gebracht. Der Abdankplatz in der Rähnitzgasse ist um die Jahrhundertwende mit parallel zur Straße liegenden Häusern überbaut worden, die sich durch ihre Klinkerbauweise deutlich von den Häusern aus dem vergangenen Jahrhundert abheben.

Leibarzt des russischen Generals von Walujew in Pirna
Zu diesem Thema sind bereits einige Angaben gemacht worden. Insbesondere wurde festgestellt, dass schon im Mai/Juni 1842 die Beziehungen aufgenommen wurden, und dass Karl Ose zunächst gemeinsam mit dem bisherigen Leibarzt Dr. Burker tätig war, wohl zur Einarbeitung. Wir besitzen einen Brief von Dr. Burker, den er einige Monate nach seinem Ausscheiden als Leibarzt an Karl Ose schrieb. Er wird anschließend ungekürzt
wiedergegeben, da er auch einen Einblick in das Haus v. Walujew gibt, das allem Anschein nach wohlhabend war und großzügig geführt wurde.
Der Briefinhalt lautet:


"Seiner Wohlgebornen
Herrn Bataillonsarzt Dr. Ose*
bei Seiner Exzellenz Herrn General von Walujew
Pirna Im Hause des Hauptmann (?) Wilkins
Oranienbaum bei Dessau, am lo.September 1843

Lieber Freund und Kollege! Von Dr. Sonnenkalb (dem späteren Gönner Oswald Oses 1832-19o5) habe ich vor wenigen Tagen erfahren, dass nicht nur Sie und der General, sondern auch der weibliche Teil der Familie nach so langer Abwesenheit und Trennung wieder in Pirna eingetroffen sind. Schon lange habe ich Ihnen ein paar Zeilen wollen zukommen lassen, aber das Vagabundierende Ihres Lebens und meine Ungewißheit über den Ort, wohin ich Ihnen meinen Brief am besten senden sollte, haben mich bisher abgehalten. Nun aber kann ich nicht unterlassen, Ihnen zu sagen, dass ich mich ganz wohl und leidlich zufrieden befinde, und dass ich sehr oft, und ich kann wohl sagen sehr gerne, an das Verhältnis zurückdenke, welches wir früher teilten und das ich nun verlassen habe. Je weniger mir die unangenehmen Quälereien mit dem General und namentlich die letzte, für mich gewiß am drückendsten zu fühlende Katastrophe im Gedächtnis liegen, eine desto freundlichere und angenehmere Erinnerung bleibt mir an die ganze Familie zurück, sowie an das Zusammenleben mit Ihnen. Hat es auch zwischen uns das eine oder das andere Mal kleine Mißhelligkeiten gegeben, im Ganzen haben wir uns doch recht gut vertragen, und ich wünsche nur, dass Sie mir eine ebenso freundliche Gesinnung bewahren, wie die ist, welche ich noch für Sie hege.
dass es den Damen und namentlich der armen Lilly, die mir oft im Sinn gelegen hat, wohl geht, dass dieser das Bad so gute Dienste geleistet hat, habe ich mit der größten Freude vernommen. Möge dieser gute Zustand von recht langer Dauer sein, möge ihr Leiden - womöglich-gänzlich-behoben sein. Demoiselle Elise soll das Bad weniger bekommen sein. Nun, das war vorauszusehen, und ich habe es glücklicherweise vorausgesagt. Wozu sollen Gesunde baden? Was macht die verehrte Frau Generalin? Was Mademoiselle de Sancy? Ich bitte Sie, lieber Ose, grüßen Sie alle, das ganze Haus, recht freundlich von mir, und sagen Sie, wie sehr ich mich über die guten Nachrichten, die mir Dr. Sonnenkalb von allen gab, gefreut hätte! Auch dem General machen Sie meine Empfehlung; er wird ja nun doch endlich seinen Groll vergessen haben. Nur dass ich erst nach erfolgter Rückkehr von diesem erfuhr, hat mich abgehalten, mich in Leipzig selbst von dem Wohlbefinden aller zu überzeugen, und bis nach Pirna ist mir etwas zu weit. Aber ich leugne nicht, dass ich gern einmal ein paar Stunden wieder dort wäre, um selbst zu sehen, wie die Sachen stehen, um nötigenfalls eine Partie Whist mitzuspielen. Nun vielleicht muss ich noch einmal nach Dresden, wo ich dann nicht verfehlen werde, diesen Abstecher zu machen. Wie mag es denn mit dem Bleiben in Pirna, in Dresden oder wo noch werden, oder erfolgt zum Winter die Rückreise nach Russland?
dass Sie sich wohl befinden, hoffe ich und ebenso will ich hoffen und wünschen, dass Ihre liebe Frau und die ganze Familie recht munter sei. So bald wie möglich grüßen Sie auch diese recht schön von mir und die Mutter und Söhne und Töchter und alles, was Ihnen ist. Und geben Sie mir Nachricht von sich und diesen, damit ich nicht blos das Beste mir denke, sondern es auch erfahre. ...

Nun lassen Sie sichs recht wohl gehen, grüßen Sie nicht nur Ihre und des Generalsganze Familie von mir, sondern auch das übrige Hauswesen: Lubesch und Duniasch, den Kutscher, Alexi und schicklichheitshalber die Buckelige. Empfehlen Sie mich dem Hofrat Pienitz, Herrn und Madame sowie den übrigen Pirnaer Bekannten und behalten Sie in gutem Andenken Ihren Dr. Karl Burker"

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* Karl Ose war weder Bataillonsarzt nocht hatte er promoviert.

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Der Brief sagt auch einiges über den Zuschnitt des Haushalts der Familie v. Walujew aus: die erwähnte Madame de Sancy dürfte eine Gesellschafterin, eine Französin sein. Vermutlich sprach man bei von Walujews in der Regel französisch. War doch auch das Zeugnis für Karl Ose am Ende seiner Tätigkeit bei Familie v. Walujew französisch abgefasst. Wo mag Karl Ose seine Französischkenntnisse erworben haben? Er müsste sie eigentlich schon gehabt haben, als er seine Tätigkeit bei Familie Walujew aufnahm, da diese mit einiger Sicherheit wohl kaum Deutsch sprach. Vielleicht stammte das übrige Hauspersonal auch aus Russland, wie mit Sicherheit Kutscher und Diener. Die ärztliche Tätigkeit für den Herrn v. Walujew erforderte vermutlich viel Nervenkraft. Denn offensichtlich ist Dr. Burker daran gescheitert, dass er diese nicht besaß. Zudem dürfte Karl Ose als gedienter Offizier auch eher dem General entsprochen haben als der Mediziner Dr. Burker. Karl Ose kannte die in Offizierskreisen üblichen Verhaltensweisen und dürfte auch deshalb dem General sympathisch gewesen sein. Abgesehen von den Launen des Generals waren es sicher ganz befriedigende Jahre im Hause v. Walujew. Bisher ungeklärt ist die Frage, warum und wann der General mit seiner Familie nach Pirna kam. Vermutlich war Karl Ose auch ein guter und interessanter Gesellschafter und verstand auch einen geschickten Umgang mit der Dame des Hauses und ihrer Familie. Die Bezahlung dürfte auch nicht schlecht gewesen sein, so dass die Jahre als Leibarzt für ihn und seine Familie wohl ganz sorgenfrei waren. Er konnte wohl auch öfter seine Familie besuchen. Wahrscheinlich brachte ihn die Kutsche von Walujews nach Hause und holte ihn dort wieder ab. Auch konnte Karl Ose eine schöne Badereise mitmachen und teilnehmen an den gesellschaftlichen Veranstaltungen der v. Walujews. Ob die Tätigkeit als Leibarzt medizinisch sehr interessant war, ist schwer zu beurteilen. Vermutlich lag der medizinische Gewinn in engen Grenzen!

Die Reise nach Russland
Die Reise nach Russland gehört zweifellos zu den großen Erlebnissen von Karl Ose. Auch heutzutage ist eine Reise nach Moskau und der Aufenthalt dort nur relativ wenigen Menschen aus West- und Mitteleuropa schon allein aus finanziellen Gründen möglich. Um wie viel mehr gilt diese Situation für die Zeit vor 15o Jahren, als das Familieneinkommen der Masse der Bevölkerung
unvergleichlich niedriger lag als heute, und wo die Verkehrs- und Reisemöglichkeiten einen unvergleichlich niedrigeren Stand als heute hatten.

Von dem Reisen mit Postkutschen, den dabei anfallenden Kosten, den Erschwernissen, den Anstrengungen, den Gefahren und der Reisezeit kann sich der heutige Mensch der Eisenbahn, des Autos und des Flugzeugs wohl kaum einen annähernd richtigen Begriff machen. Im folgenden soll der Versuch gemacht werden, einiges aus der Postkutschenzeit zu schildern, wenngleich damit auch nur ein unvollständiges Bild des Postkutschenverkehrs entsteht. Leider gibt es bisher keine zusammenfassende Darstellung des Postkutschenverkehrs der vergangenen Jahrhunderte.

Doch zunächst noch einen Blick zurück nach Pirna: Wie aus dem bereits behandelten Brief von Dr. Burker an Karl Ose hervorgeht, wurde schon 1843 in der Familie von Walujew diskutiert, ob man überhaupt in Pirna bleiben solle. Man wohnte ja nicht im eigenen Hause und in einem fremden Lande, dessen Sprache man vermutlich nicht sprach, zumindest nicht das russische Personal. Schließlich setzte sich die Ansicht durch: weg von Pirna, zurück nach Moskau, wo die v. Walujews vermutlich früher gewohnt hatten, obwohl zunächst von Russland gar nicht die Rede gewesen war. Der Entschluss, nach Moskau überzusiedeln, scheint 1844 gefasst worden zu sein. Zu diesem Entschluss dürfte auch der schlechte Gesundheitszustand des Herrn v. Walujew beigetragen haben. Er wollte wieder in die Heimat zurück, vielleicht auch in Vorahnung seines baldiges Todes. Karl Ose sollte den kranken General auf der Reise begleiten. Wir wissen zwar nicht, was dem General fehlte. Aber er glaubte eine dauernde ärztliche Beobachtung/Behandlung zu benötigen. Ob Karl Ose, wenn der General nicht schon wenige Monate nach der Ankunft in Moskau gestorben wäre, noch längere Zeit als Leibarzt in Moskau geblieben wäre, lässt sich wohl dahin beantworten: kürzere Zeit: ja; längere Zeit: nein! Er durfte ja seine Frau und seine Kinder nicht für zu lange Zeit verlassen. So kehrte er bald nach dem Tod des Generals nach Dresden zurück.
Zum Glück sind uns die Pässe von Karl Ose sowohl für die Hinreise als auch für die Rückreise erhalten, die uns eine Feststellung der Reiserouten als auch der Dauer der Reise annähernd gestatten.

Die Reise (Hinreise) von Dresden nach Moskau begann etwa Mitte Juni 1844. Der Reisepaß für die Hinreise für Karl Ose ist ausgestellt von der Stadt-Polizei- Deputation Dresden. Der Paß hat das Format 257 x 395 mm. Der Text lautet:

Reisepaß Nr. 881
Die Stadt-Polizei- Deputation zu Dresden ersucht alle Civil- und Militärbehörden, Herrn Johann Carl Friedrich Wilhelm Ose, gebürtig aus Merseburg, wohnhaft in Dresden, welcher, um den Herrn Staatsrat von Walujew aus
Russland zu begleiten, von hier über Berlin und St. Petersburg nach Moskau reist, und durch Aufenthalt hier
legitimiert ist, frei und unbehindert reisen und zurückreisen, ihm auch nötigenfalls jeden Schutz angedeihen zu lassen.
Gegeben Dresden, am l0. Juni 1844
Die Stadt-Polizei-Deputation
Siegel Unterschrift
Gültigkeit des Passes: 2 Jahre

Personenbeschreibung:
Religion evangelisch, Nase proportioniert, Mund proportioniert, Alter 44 Jahre, Größe Mittel (laut Militärakten 170cm), Bart braun, Haare braun, Kinn (unleserlich), Stirn flach, Gesicht voll, Augenbrauen/Augen braun, Gesichtsfarbe gesund, Besondere Kennzeichen -

Unterschrift des Reisenden:
Johann Karl Friedrich Wilhelm Ose

Der Paß enthält zwei Fehler:
- der am 15. März 1798 geborene Karl Ose war im Juni 1844 nicht 44, sondern 46 Jahre alt
- der Vorname Friedrich ist im Taufschein nicht enthalten, taucht auch sonst nicht auf bis auf die standesamtliche Sterbeurkunde und das Totenregister der Kirche zu Ronneburg

Die Rückseite des Passes enthält verschiedene Angaben, teils in russischer, teils in deutscher Sprache:
- Das in russischer Sprache geschriebene Visum der russischen Botschaft/Gesandtschaft in Dresden ist ausgestellt am 29.Mai/10.Juni 1844. Die beiden Ausstellungsdaten beziehen sich auf den Julianischen Kalender, eingeführt im Jahr 46 v.Chr. durch den Konsul Julius Cäsar bzw. den Gregorianischen Kalender, eingeführt 1582 durch Papst Gregor XII, seit dieser Zeit in Europa - ausser Russland- üblich. Dort verwendete man bis 1918 noch den julianischen Kalender, der dem gregorianischen um 12 Tage nacheilt.
Das Visum wurde übrigens am gleichen Tag wie der Paß ausgestellt. Es ging also recht unbürokratisch zu.

-Eintragung der preußischen Grenzstation Laugszargen/ Ostpreußen (Grenze zwischen Preußen und Russland):
"Gut nach Tauroggen (schon russisch) Laugszargen, 24.6. 44"
Von Laugszargen nach Tauroggen (russische Provinz Litauen) waren es nur 7 Werst(russisches Längenmaß, entspricht 1,067 km), also etwa 7,5 km. In Tauroggen hatte am 30.12.1812 der preußische General York mit dem russischen General Diebitsch die "Tauroggener Konvention" abgeschlossen. Danach wurde das preussische Hilfskorps, das Preußen im russischen Feldzug Napoleon zur Verfügung gestellt hatte, für neutral erklärt. Dies war ein wichtiger Anstoß zur preußischen Volkserhebung gegen Napoleon 1813.

- Eintragung der russischen Grenzstation Tauroggen vom 12./24.Juni 1844. Man war also am gleichen Tag von Laugezargen nach Tauroggen gereist.

- Schließlich folgt als Eintragung die der Polizei in Mitau (jetzt Jelgava, Lettische SSR) vom 14./26. Juni 1844).*

- Weitere Eintragungen erfolgten nicht mehr, weil man sich
nunmehr im allrussischen Gebiet befand.

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*Letzte Eintragung 15. (27.) Juni 1844 (vermutlich in nur 41 km entfernten) Riga (jetzt Hauptstadt der lettischen SSR)

Wenn wir uns nun einen Begriff von der Postkutschenfahrt von Dresden bis nach St. Petersburg (jetzt Leningrad) machen wollen, so können wir auf dem damaligen Postfahrplan "Die preußischen Postcourse (Strecken) und die mit denselben in unmittelbarer Verbindung stehenden ausländischen Posten im Jahr 1841, bearbeitet im Cours-Bureau des Königl. General-Postamtes" einige für unseren Fall infrage kommenden Daten entnehmen. In den nachfolgenden Zeilen sind alle Zeit- und sonstigen Angaben in heutigen Maßen angegeben, soweit zweckmäßig. Nachfolgend die betreffenden Postkutschen-Fahrpläne:

Angenommen wird einen täglichen Fahrzeit von ca. 10 Stunden. Dann ergibt sich - ohne Ruhetage - eine gesamte Fahrzeit von etwa 27 Tagen entsprechend etwa 4 Wochen.
Da jedoch der General-Major v. Walujew bestimmt eine Extrapost benutzt hatte, dürfte die Fahrzeit etwa 20-25% geringer sein, die Reise also nur etwas 3 Wochen gedauert haben. Rechnet man dazu einige Ruhetage, z.B. in Königsberg, Riga, doch letzten Endes 4 Wochen ergeben. Man war also etwas Mitte/Ende Juli 1844 in Moskau. Die obige Zeitberechnung wird mit Vorbehalt mitgeteilt, da wir die einzelnen Umstände der Reise nicht kennen.

Die Russlandreise war für Karl Ose eine einmalige Gelegenheit, viel Schönes und Neues kennenzulernen, insbesondere St.Petersburg (Leningrad), aber wohl noch ausführlicher Moskau. St. Petersburg, gegründet von Zar Peter dem Großen, der die Hauptstadt Russlands 1712 dorthin verlegte. Erst 1918 wurde Moskau wieder Hauptstadt. Im Jahr 1853 hatte St. Petersburg immerhin schon 524 000. Einwohner, Moskau 1863 nur 350 000. 1852 hatte Dresden nur 100 000 Einwohner, Berlin 1861 insgesamt 541 000 Einwohner. 1851 wurde die Eisenbahn St. Petersburg - Moskau eröffnet. Bedeutende Bauten in St. Petersburg waren bzw. sind die Peter- und - Paulsfestung, die Peter und Pauls-Kathedrale, der Sommerpalast und das Winterpalais. In Moskau dominiert der Kreml. Karl Ose hatte also sicher seine freie Zeit dem Kennenlernen der Sehenswürdigkeiten, aber auch dem Studium des Russen und der russischen Seele gewidmet. An grösseren gesellschaftlichen Veranstaltungen dürfte er wegen des Todes des Generals wohl weniger teilgenommen haben. Das sind alles spekulative Gedanken, deren Wahrheitsgehalt wir nur abschätzen können.

Doch zurück zur Reise selbst: Es ist interessant, einmal zu versuchen, die Kosten einer solchen Reise zu berechnen. Genau können wir die Kosten zwar nicht ermitteln, aber doch deren Grössenordnung in etwa feststellen. Nach Auskunft des Bundespostmuseums in Frankfurt am Main galten damals zumindest in Deutschland die folgenden Gebühren (Richtwerte):
o Wagenleihgebühr (Chaisengeld) 7,5 Sgr./Meile) *
o Pferdegeld je Pferd. Es waren mindestens 2 Pferde, bei der Extrapost sicherlich vier Pferde vorgespannt.
o Postillionstrinkgeld 5-7,5 Sgr./Meile
o Schmiergeld 3 Sgr./Station
o Wagenmeistergebühr 4 Sgr./Station

*1 Meile = 7,5km, 1 Sgr. = 12 Pfg.

Rechnen wir nun einmal die Kosten für die Reise von Dresden bis nach Moskau für eine Extrapost aus. Wir müssen aber annehmen, dass der General. v. Walujew zwei Extraposten für seine große Reisegesellschaft benötigte. Denn ausser ihm, seiner Frau, den beiden Töchtern, der Gesellschaftsdame und Karl Ose reisten mit Sicherheit noch mit der Kutsche, mindestens ein Diener, zwei Kammerzofen. Es waren also mindestens 10 Personen. Dazu kam noch der Kurier (Herr C. Mono aus Dresden), von dem wir noch berichten werden. Berücksichtigt man ferner noch das sicher nicht geringe Reisegepäck, so kommt man auf mindestens zwei Extraposten. Rechnen wir also erst einmal die Kosten für eine Extrapost aus:

o Chaisengeld Sgr. (330 Meilen von Dresden nach Moskau) 7,5x330 = 2.500
o Pferdegeld für 4 Pferde, 4x10x33o = 13.200
o Postillon-Trinkgeld, ca.6x330 = 2.000
o Schmiergeld (angenommen 30 Stationen), ca.30x3 = 90
o Wagenmeistergebühr (angenommen 30 Stationen), ca.30x4 = 12o,

zusammen Silbergroschen (Sgr) ca.18.000, entsprechend 750 Taler.

Die Rechnung ergibt für eine Extrapost ca. 750 Taler. Wenn man bedenkt, dass Karl Ose zuletzt als Schwadronsarzt vielleicht l0 Taler/Monat als Gehalt bezog, erkennt man die ausserordentlich hohen Reisekosten. Im vorliegenden Fall waren sogar zwei Extraposten zu bezahlen, also insgesamt 1.500,- Taler.

Dies waren aber nicht die einzigen Reisekosten. Man musste ja auch übernachten. Ob man nachts durchfuhr, wie das vielfach üblich und bei den normalen Posten sogar die Regel war, wie wir gleich nachweisen werden, ist zweifelhaft, schon mit Rücksicht auf den kranken General. Dann musste auch die gesamte Reisegesellschaft täglich verpflegt werden. Das waren nicht nur zusätzliche Kosten, sondern z.T. Probleme, die gemeistert werden mussten. Da man wenig reiste, vor allen Dingen nicht über größere Entfernungen, fehlte auch die Reiseerfahrung, die Kenntnis der Gasthöfe, man konnte leicht übervorteilt werden. Daher war es offensichtlich üblich, einen erfahrenen Reisebegleiter, der die Verhältnisse in den einzelnen Poststationen kannte, anzuheuern. Dies taten auch die v. Walujews. Dieser Reisebegleiter, anscheinend als Courier bezeichnet, der die Walujews begleitete, stammte aus Dresden und hieß C. Mono. Von ihm ist uns ein langer Brief überkommen, den Herr Mono aus St.Petersburg im Herbst 1844 an Karl Ose nach Moskau schrieb. Der Brief strotzt von orthographischen Fehlern. Im folgenden ist er in jetzigem Deutsch wiedergegeben:

Anschrift: "Seiner Wohlgeborenen Herrn Doktor Ose bei Seiner Exzellenz General v. Walujew, wohnhaft im Hause des Herrn Grafen Tolstoy in Grusin / Moskau"

"St. Petersburg, den 25.Oktober 1844
Euer Wohlgeborner! Lieber Herr Doktor, es ist unmöglich, dass ich St. Petersburg verlassen kann, ohne Ihnen, Herr Doktor, einen kleinen Brief zu schreiben, und bitte l000mal um Verzeihung, dass ich so frei bin, Ihnen einen Brief zu schreiben. Ich habe Sie sehr lieb, denn Sie haben mir wirklich viel geholfen, und ich bin Ihnen darauf noch viel schuldig. Gott mag Sie und Ihre Familie belohnen. Ich mache Ihnen zu wissen, dass ich jetzt von Paris nach St. Petersburg gereist bin, und ich befinde mich jetzt in St. Petersburg. Ich habe eine der größten (bedeutendsten) Familien aus St. Petersburg, die beim Kaiser Zar I sehr viel gilt, das ist nämlich die Frau Gräfin, 6 Kinder, einen Hofrat, eine Gesellschafterin, eine englische Gouvernante, 3 Kammerjungfern, einen Kammerdiener, meine Person als Kurier (ich habe vergessen, den Namen zu nennen: sie heißt v. Kleinmichel), eine ausgezeichnete Familie. Ich hatte sehr schwere Arbeit, die Familie war sehr groß und die vielen Wagen, und wir reisten Tag und Nacht, um nach St. Petersburg zu kommen. Wir fürchteten, dass die winterliche Kälte uns auf dem Weg erwischt. Die Gräfin war sehr zufrieden mit mir und hat mich sehr gut belohnt. Ausser meinem Gehalt habe ich ein sehr schönes Geschenk erhalten, was ich von allen Familien auch bekommen habe, aber nur nicht von ...., das waren die
einzigen. Wie ich nach. St. Petersburg gekommen bin, den 4. Tag darauf, sollte ich mit einer Familie nach Rom reisen, nämlich die Frau Gräfin v. Kleinmichel empfahl mich gleich und schickte mich mit einem Brief zu der Familie hin. Es war eine Frau General aus Moskau mit zwei kleinen Söhnen, einer Gesellschafterin, einer Bonne (Kindermädchen) und zwei Kammerjungfern und Bedienten. Ich habe es nicht angenommen, weil ich wirklich sehr müde bin. Ich habe, seit ich die Generalin v. Walujew verlassen habe, mich sehr abgemattet, und sie wollte auch nicht zahlen, wie ich wollte, daher machte ich mir nichts daraus. Ich hatte nun meinen Preis gegeben (genannt) und 8 Tage ruhen lassen. Sonst wäre ich noch mitgegangen. Aber ich sollte gleich wieder abreisen. Ich kann doch meine Gesundheit nicht so wegschmeissen und blieb in St.Petersburg. Ich bleibe 8 Tage hier und den 2. November reise ich nach Dresden. Ich nehme das Dampfschiff von St. Petersburg bis Riga und von da mit der Post. Für dieses Jahr geht kein Dampfschiff mehr nach Stettin. Sonst wäre ich nach Stettin gefahren. Ich muss mich tummeln, dass ich aus St. Petersburg komme, denn es fängt schon an kalt zu werden. Ich muss Ihnen noch berichten, Herr Doktor, wie ich im August* auf das Dampfboot in St. Petersburg mich begeben habe, da dachte ich an Sie, ich bin 5 Nächte und 5 1/2 Tage auf See gewesen, und ich habe glücklich ohne Brechen die Fahrt überstanden, und es waren nur drei von uns, die nicht gebrochen haben. Und wie ich nach Dresden gekommen bin, habe ich am anderen Tag Ihre Frau Gemahlin besucht, worüber sie sich sehr freute. Und das neugeborene Kind war schon da (Carl Edwin, geboren am 17. August 1844).

Die gute Frau habe ich im Bett gefunden, und sah aus, wie jede Wöchnerin sich findet. - Herr Doktor, ich hätte von Ihnen gern eine Nachricht, was der gute General macht, und die Frau Generalin und die ganze Familie und überhaupt das Fräulein Lilly, ob sie gesund geblieben ist, was ich ihr von Herzen wünsche, und Gott möge ihre Gesundheit erhalten. Und ich bitte, wenn Sie Ihrer Frau Gemahlin schreiben, können Sie es ihr zu wissen machen, ich werde nachfragen. Bitte machen Sie an alle meine ganz gehorsamste Empfehlung, und ich wünsche allen, recht gesund zu bleiben. Und vorzüglich der guten Fräulein Lilly, weil sie so viel und so lange hat leiden müssen. Ich bitte meinen Gruß an meine Reisegefährten, an die Madame Dunasz, Lubas und den guten Alexis(?). Und sagen Sie, Herr Doktor, dem ..., dass ich habe von der Fräulein Proklinski gefragt wegen seinem Tuch, das er im Schrank vergessen hatte, und sie hat mir gesagt, sie wisse nichts von dem Tuch, das im Schrank war. Doktor, ich grüße Sie vielhundertmal und wünsche von Herzen für Ihre liebe Familie, der liebe Gott möge sie recht gesund erhalten. Und wenn Sie einst auch nach Hause reisen, dass Sie recht gesund und wohl nach Hause kommen und Ihre liebe Familie gesund antreffen. Ich bitte meinerseits den Bäckermeister Pätze (??) und seine Frau zu grüßen. Ich bitte um Verzeihung für mein fehlerhaftes Schreiben, erstens war ich sehr pressiert und hatte wenig Zeit und zweitens fast keine Tinte und sehr schlechte Federn, und doch wollte ich gern an Sie schreiben, und ich hoffe, dass Sie es lesen können. Mit aller Hochachtung Ihr ergebener Diener C. Mono aus Dresden."

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*Nachdem er die Reisegesellschaft v. Walujew bis St. Petersburg begleitet hatte.

Soweit der Brief des Herrn Mono an Karl Ose. Der Poststempel trägt das Datum 17.Oktober 1844. Der Unterschied zwischen dem Datum am Briefkopf (25.0kt.) hängt mit dem Unterschied zwischen julianischem und gregorianischem Kalender zusammen.

Noch einiges zur Person des Herrn C.Mono. In Dresden lebte in diesen Jahren tatsächlich ein Carl Friedrich Mono., Er wird als Meubleur bezeichnet und wohnte in der Inneren Pirnaischen Gasse 21. Ob unser C. Mono und der eben genannte Mono identisch sind, ob sie verwandt sind oder nicht, das wissen wir nicht. Auch muss noch geklärt werden, was Meubleur für ein Beruf ist, Möbelhändler, Wohnungseinrichter, Möbeltransporteur? (Anm. Ist ein Einrichter). Es scheint fast so zu sein, dass er schon beim Packen in Pirna dabei war. Auch dürfte er Karl Ose gut gekannt haben, der ihm offensichtlich als Arzt einmal besonders gut geholfen hat. Man kann sich auch nicht denken, dass Herr Mono das erste Mal eine Reisebegleitung gemacht hat. Er war sicherlich auf diesem Sektor schon erfahren. Denn die Verantwortung war ja groß! Auch glaube ich nicht, dass er Familie v. Walujew bis Moskau begleitet hat, sondern schätze, nur bis St.Petersburg, weil er vermutlich nicht russisch gekonnt hat, was für solche Tätigkeit auf der Strecke St.Petersburg-Moskau wohl unerlässlich war. Auf der Strecke bis St. Petersburg konnte man mit der deutschen Sprache gut durchkommen. Man fuhr ja durch die baltischen Provinzen Litauen, Estland, Lettland, wo zumindest in den beiden zuletzt genannten Gebieten damals sehr viele Deutsche wohnten, besonders der führenden Schichten, so dass auch am Petersburger Hof die deutsche Sprache durchaus verstanden wurde, zumal auch viele Baltendeutsche in führenden Stellen von und Regierung und nicht zuletzt des Militärs tätig waren. - Mir schätzen, dass Herr Mono ein Mann von etwa 5o Jahren war, einen sehr guten Charakter hatte und mit der Familie Ose persönlich sehr gut bekannt war, alles in allem ein sympathischer Mensch, wie auch der lange Brief zeigt. Er nimmt Anteil an dem Schicksal anderer Menschen. Er muss ein rühriger und begehrter Courier gewesen sein, der in sehr hochgestellten Kreisen tätig war.

Nachdem der General vermutlich um die Jahreswende 1844/1845 gestorben war, war es für Karl Ose gegeben, recht bald wieder zu Hause zu sein. Wir zweifeln nicht daran, dass es ihm trotzdem nicht leicht gefallen ist, von der sympathischen Familie von Walujew sich zu trennen, zu deren Kreis er gehört hatte. Auch v. Walujews ließen ihn sicher nur ungern ziehen und waren ihm dankbar für die geduldige und ausgezeichnete Behandlung des Generals bis zu seinem Tode. All das geht aus dem Zeugnis hervor, das ihm Frau v. Walujew beim Abschied ausstellte. Das Original war in französischer Sprache abgefasst. Es ging 1945 in Berlin verloren. Jedoch ist uns eine deutsche Übersetzung erhalten geblieben. Sie lautet:

"Herr Doktor Ose hat meinen seligen Gemahl als Arzt von Dresden nach Moskau begleitet, woselbst er bei ihm 2 Jahre, 8 Monate verblieb. Es gereicht mir zur
angenehmen Pflicht zu bescheinigen, dass Herr Ose in dieser ganzen Zeit nicht aufgehört hat, ununterbrochene Beweise von Kenntnis, Geduld, Hingebung, Freundschaft und einer unbegrenzten Ausdauer an den Tag zu legen. Ich spreche daher Herrn Ose meinen lebhaftesten und anerkennendsten Dank hiermit aus, und zweifle nicht, dass diese so ausgezeichneten Eigenschaften ihm die Hochachtung aller derjenigen gewinnen werden, welche sich seiner Sorgfalt anvertrauen wollen.
Moskau, 2o. Januar 1845*
Elisabeth v. Walujew

*) Nach julianischem Kalender. Gregorianisch: 31.Januar 1845

Dass Karl Ose von Frau v. Walujew sehr gut belohnt wurde, daran brauchen wir wohl nicht zu zweifeln. Er hat als Leibarzt vermutlich wesentlich mehr verdient als ein Militärarzt.

Nun hieß es für Karl Ose die Rückreise anzutreten. Zu diesem Zweck musste er sich erst einmal einen russischen Pass besorgen. Er erhielt davon eine russische und eine deutsche Ausfertigung. Beide sind uns erhalten geblieben. Das Format ist 263x 435 mm. Damals war russischer Zar Nikolaus I. ER lebte von 1796 bis 1855, Zar war er von 1825 - 1855. Der Text der Vorderseite der deutschen Ausfertigung (als "Transl" = Translation =
Übersetzung bezeichnet) lautet (Original

"Nr. 1900
Auf Befehl seiner Kaiserlichen Majestät Nicolaus des Ersten, Selbstherrschers aller Reusen etc. etc. Allen und jeden, denen daran gelegen ist, wird hiermit kund und zu wissen getan, dass Vorzeiger dieses, der sächsische Untertan Arzt Johann Karl Friedrich* Wilhelm Ose durch die Gouvernements Twer, Nowgorod, St. Petersburg, Estland, Livland, Kurland und Wilna ins Ausland reiset. Urkund dessen und zu seiner freien Reise ist ihm dieser Paß, welcher bis zur Überschreitung der Grenze nur 3 Monate gültig ist, durch den Kriegs - Zivil - Gouverneur von Moskau unter seiner kaiserlichen Majestät Insiegel erteilet worden.
Moskau, den 19. Januar 1845 (gregorianisch: 1.2.1845) Kennzeichen: Alter 44, Augen braun
Wuchs mittel, Nase mittel
Haare dunkelbraun, Mund mittel
Gesicht oval, Kind rund
Stirn mittel,
Augenbrauen braun,
besondere Kennzeichen: keine

Seiner Kaiserlichen Majestät,
meines allerhöchsten Monarchen,
General von der Infanterie,
Mitglied des Reichsrats,
Kriegs - Zivil - Gouverneur von Moskau
Chef des Kostromaschen** Jäger-Regiments und aller russischen Orden Ritter

Unterschrift Fürst Schtscherbatow"

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* Der Vorname Friedrich ist falsch
** Stadt Kostroma 3oo km nordöstlich von Moskau

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Es ist nicht ausgeschlossen dass Karl Ose, zumindest innerhalb des russischen Gebietes mit dem Pferdeschlitten reiste. Ob er eine Schnellpost benutzt wissen wir nicht, vermuten es aber. Die Rückreise wurde ihm ja von Frau v. Walujew bezahlt. Er fuhr zunächst nach St. Petersburg. Von da nahm er, aus welchen Gründen auch immer, nicht den gleichen Weg wie auf der Hinreise 1844, sondern reiste von St. Petersburg über Pleskau, Wilna, Grodno, Bialystok nach Warschau, wo er am 18. Februar 1845 eintraf. Dort besorgte er sich beim Preußischen Generalkonsulat das Visum für Preußen.
Es lautet: Nr. 478

"Gesehen zum Eintritt in die Königlich Preußischen Staaten. Warschau, den 18. Februar 1845
Königlich Preußischer Generalkonsul"

Warschau gehörte wie der größte Teil des heutigen Staates Polen zu Russland. Ein polnischer Staat entstand erst wieder nach dem 1. Weltkrieg 1914 -1918, wobei durch den Versailler-Friedens-Vertrag 1920 fast die ganze preußische Provinz Posen sowie Teile von Westpreußen an Polen fielen.
Am 20. Februar wird Karl Ose die Einreise vom Königlich Preußischen Hauptzollamt in Strzalkowo* bescheinigt. Strzalkowo (deutsch Stralkowo) lag wenige km westlich der damaligen preußisch-russischen Grenze. Daher war dort ein Hauptzollamt angesiedelt. Vermutlich ist Karl Ose dann über Berlin nach Dresden gereist, wo er Ende Februar/Anfang März eingetroffen sein dürfte, freudig empfangen von seiner Frau und den Kindern nach fast 3/4 Jahr Abwesenheit.

Aufzeichnungen über seine Russlandreise hat Karl Ose offensichtlich nicht gemacht. Es gibt lediglich eine einzige Briefstelle, mit der er auf die Russlandreise Bezug nimmt. In einem Brief, den Karl Ose an seine Tochter Lidda Pöhler geb. Ose in Liebschwitz am 26. Mai 188o aus Lausigk schrieb, wo er seinen ältesten Sohn Oswald Ose besuchte, der dort als praktischer Arzt tätig war, heißt es:

"Vorläufig kannst Du mein Deckbett mit Kopfkissen vertauschen, was ich wünsche, weil dieselben, mit den Faumenfedern und sogenannten Eytertunen** welche ich aus Russland mitbrachte, gestopft sind."

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*Im Herbst 1932 war ich anlässlich der Hochzeit meines Freundes und Bundesbruders Dipl.-Ing. Hans Pohl aus Dresden in Strzalkowo. Die Eltern der Braut waren dort Besitzer eines Rittergutes. Hans Pohl hatte seine Frau in Dresden kennen gelernt, wo diese in dem vornehmen Pensionat Spitzner auf dem Weißen Hirsch schätzungsweise 1-2 Jahre zur Ausbildung weilte.Im übrigen die Hochzeit war ein rauschendes Fest!

** Eiderdaunen, Eiderdunen (besonders weiche Gänsefederen

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