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Einführung: Lebenlauf / Literarische Erzeugnisse

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Zweite Sammlung: Brief IX / Brief X / Brief XI / Brief XII / Brief XIII

Dritte Sammlung: Brief XIV / Brief XV / Brief XVI/Biographie

Ambrosius Bethmann Bernhardi (1756- 18o1)

Die literarischen Erzeugnisse von A.B. Bernhardi

Züge zu einem Gemälde des Russischen Reichs unter Catharina II.
gesammelt bey einem vieljährigen Aufenthalte in demselben. In vertrauten Briefen 1799.

Dritte und letzte Sammlung

Freyberg, 1807 bei Craz und Gerlach nebst einer Biographie des Verfassers.

Brief XIV - XVI

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Brief XV.

Über den Hang der Russen zum Trunke. Gegen die Zeichnungen eines Gemäldes von Russland und gegen Meiners Vergleich des älteren und neueren Russland. S. 30 - 56

--30--
Über den Hang der Russen zum Trunke: In zwei Büchern, die in der Ostermesse 1793 herausgekommen sind, wird der Hang der Russen zum Trunke noch in einer fürchterlichen Größe vorgestellt. In dem einen heißt es: sobald der Bauer Geld hat, betrinkt er sich; der Russe von allen Ständen ist die Hälfte des Jahres betrunken! *) In dem anderen wird zwar auf das, was in Storch´s Materialien über

*) Zeichnungen eines Gemäldes von Russland. S. 104 und 106.

--31-- die verminderte Trunkenheit gesagte wird,*) Rücksicht genommen, aber doch aus älteren Schriftstellern, gleichsam als ob sie jetzt gültig wären, angeführt, das man selbst dem weiblichen Geschlecht der höheren Stände einen kleinen Rausch nicht übel deute, und das die gemeinen Russen, wenn sie Geld hätten, sich noch 204 Tage im Jahr betrinken.**) So unbestimmt und allgemein, als dies da steht, ist es in meinen Augen mehr, als je statt gefunden hat. Ich glaube nämlich, das die fürchterliche Saufwut sich bei dem gemeinen Manne hauptsächlich auf die Städte eingeschränkt hat, welche die Reisenden immer mehr als das platte Land zum Maßstab ihrer Beurteilung nehmen. Dies ist überhaupt, wie mir es scheint, nicht außer acht zu lassen, wenn man sich in den Urteilen über den russischen Nationalcharakter nicht übereilen will.

*) Materialien zur Kenntnis des russischen Reichs. I, Th. S. 465.
**) Meiner´s Vergleich des älteren und neueren Russlands, I, Th. S. 222.

--32-- Wer die niederen Volksmassen in Frankreich und England nach dem Pöbel in London und Paris beurteilen wollte, würde schon einen starken Missgriff tun; noch mehr aber derjenige, welcher im gleichen Falle Moskau zum Massstab in einer Zeit nähme, wo die Kultur des Geistes noch weniger als jetzt mit den Mitteln, sich Genuss zu verschaffen, in gehörigem Verhältnisse stand. Diese Anmerkung wird ihre Bestätigung finden, indem ich ganz unparteiisch sage, was ich in Rücksicht auf den Hang zum Branntwein in Russland gesehen, gehört und berechnet habe. Mehr gebrannte Wasser, als in anderen Ländern, trinken auch jetzt noch in Russland die gesitteten Stände. Die bekannte Gewohnheit, vor jeder Mahlzeit sich durch ein Schälchen Appetit zum Essen zu machen, ist, so viel ich in Moskau und Petersburg gesehen habe, noch herrschend bei dem weiblichen wie bei dem männlichen Geschlecht, und selbst die Fremden haben sie fast durchgängig angenommen.

--33-- Wenigstens bewirten sie niemand, ohne das Gläschen vor der Mahlzeit anzubieten; selbst in Riga nicht, wo man doch russischer Sitte in allgemeinen nicht hold ist.*) Überdies sind die auf Früchte abgezogenen Wasser auch am Ende der Mahlzeit im inneren von Russland noch mehr im Gebrauch als in anderen Ländern.

*) Als im Jahre 17793 ein neues Armenhaus in Riga eingerichtet worden war, wurde viel darüber gesprochen, ob es gut gewesen sei, den Gebrauch des Branntweins darin zu verbieten? Sehr verständige Menschen behaupteten, das man das Gläschen vor der Mahlzeit hätte erlauben sollen, und in der Tat würde selbst Hufeland, der den Branntwein für durchaus schädlich hält, doch nur für die allmähliche Abgewöhnung gewesen sein. Als eine Folge jenes Verbots sah man es an, das mancher Arme das Haus verlies, so gut er es auch sonst da haben konnte.

--34-- Ich habe zu Moskau in einem sehr fein eingerichteten Hause gesehen, das man mehrere Sorten solcher Fruchtwasser nach einander herum gab.*)

*) Dagegen trinkt man weniger Wein, vielleicht, weil es äußerst schwer ist, ihn auch nur leidlich zu erhalten. Derjenige wenigstens, den ich getrunken habe, war durchaus und zum Teil so schlecht, als ich ihn nirgends gefunden habe. Es ist hierbei nur von inneren Russland die Rede. In Riga war der Wein gewöhnlich gut, und der Tischwein häufig von feinerer Art, als in Deutschland und Frankreich, die Zeit über ausgenommen, wo das Verbot französischer Waren sich auch auf den Wein erstreckte, und mit einer Strenge ausgeführt wurde, welche Teils dem Portwein Eingang verschaffen musste, teils dem etwa noch vorrätigen französischen Verfälschung zuzog. Man hielt über jenes Verbot so streng, das man weggenommenen Champagner auf die Straße fließen ließ, und am Ende die Einfuhr jedes roten Weins verbot, weil Französischer unter fremden Namen eingeführt worden war.

--35-- Wenn es daher in Storch´s eben angeführten Materialien heißt: die Gäste mit allerhand berauschenden Getränken zu bewirten, ist nun selbst auf den Dörfern ganz außer Gebrauch gekommen; das man außer den Mahlzeiten jene Getränke nicht mehr, wie sonst etwa, statt des bei uns gewöhnlichen Kaffees oder Tees aufträgt. Auch habe ich den Gebrauch des Punsches in Petersburg sehr stark gefunden. Es wird, nach meinen Erfahrungen, selten ohne denselben ein Abend in Gesellschaft zugebracht.*)

*) Wen man in Herrmann´s statistische Schilderung von Russland die Einfuhr des Arrak, Rum, Schrums und Spiritus in Petersburg von 1783 - 1788 größtenteils steigen sieht, das auch der Gebrauch des Punsches immer gestiegen sei --- noch mehr aber, wenn man die Einfuhr jener Artikel von 1788 mit der von 1794 in Storch´s statistischen Übersicht von Russland vergleicht. Jener gibt für das genannte Jahr nur 2058 Rubel, dieser hingegen 34379 für 1794 an. Indessen kommt der ungeheure Unterschied wenigstens zum Teil mit daher, das in dem letzten Jahre kein Franzbranntwein eingeführt werden durfte. Übrigens muss man nicht denken, als ob die Neigung zum Punsche etwa auf die alte zum Branntwein bei dem Russen gepfropft geworden wäre. Meine Erfahrungen sind hauptsächlich von Deutschen hergenommen.

--36-- Dagegen ist mir nichts vorgekommen, welches auf die Entschuldigung eines kleinen Rausches selbst bei dem weiblichen Geschlecht deute, wenn nicht etwa jene Bemerkung weiter nichts sagt, als was auch in andern Ländern statt findet. Eine gewisse Munterkeit nach einigen Gläsern Champagner wird auch bei uns wohl nicht übel gedeutet. Überdies muss ich noch eine andere Bemerkung entgegen setzen, welche stark für die Abgewöhnung von der Trunkenheit in Russland unter den höheren Ständen zu sprechen scheint.

--37-- So herrschend nämlich der Gebrauch des Branntweines vor der Mahlzeit ist, so sah ich doch in Moskau, das sich junge Leute bis zum 25 Jahre desselben enthielten, und das man diejenigen, welche sich auch nur ein wenig erlaubten, als Menschen betrachtete, die starken Tadel verdienten. Bei den niederen Ständen habe ich auch die allgemeine Trunkenheit gefunden, welcher sie die angeführten Schriftsteller noch jetzt beschuldigen, indem ich teils auf die Zahl der Tage Rücksicht nehme, teils auf die Zahl der Menschen, welche sich der Trunkenheit ergeben. Nicht an allen Festen, die dort zu 204 gerechnet werden, und den darauf folgenden Tagen findet man noch etwas Auffallendes von der sonst herrschenden Gewohnheit, sondern nur an denjenigen, welche einem langen Fasten vorhergehen oder folgen, als zu Weihnachten und zu Ostern. In der Butterwoche besonders, als der eigentlichen Karnevalszeit des gemeinen Mannes, mag wohl mancher von dem Strom mit hingerissen werden, der sonst ein sehr nüchternes Leben führt.

--38-- Wie Gmelin in Sibirien zu jener Zeit die Fortsetzung seiner Reise verschieben musste, weil es schwer hielt, nüchterne Menschen zu finden: so warnt man auch noch in Moskau die Reisenden vor der Butterwoche ; und es kann wohl sein, das man dann seine Not mit den betrunkenen Fuhrleuten habe. -- Ich sage bloß: es kann sein. -- Denn in der Tat scheint es gewissermaßen den Leuten in Moskau selbst, wie den Reisenden zu gehen. Jene denken nicht weniger, als diese, mehr an das, was noch vor zehn, zwanzig Jahren war, als was jetzt ist. Ich wurde in der Butterwoche und besonders an dem darauf folgenden Sonntag, welcher gleichsam den Kehraus macht, sehr gewarnt, mich nicht zu Fuss oder in einem auf der Straße gemieteten Schlitten unter das Gewühl der unzähligen Fahrzeuge zu wagen.

--39-- Deren Verwirrung auch ohne Trunkenheit der Führer, bei den zum Teil sehr engen Straßen, eben nicht zu verwundern wäre;*) ich tat es aber doch und habe auch nicht den geringsten Unfall von Bedeutung erfahren, wahrgenommen oder auch nur gehört. Wenn übrigens an solchen Festen, wie ich oben zu verstehen gab, von dem Pöbel wirklich noch viel getrunken wird; so ist er doch danach im Ganzen eben so wenig zu beurteilen,

*) Die Russen, die überhaupt das Fahren sehr lieben, fahren zu keiner Zeit mehr als in der Butterwoche, und besonders an dem Sonntage, der darauf folgt. Da nehmen alle Leute, die noch der alten Sitte folgen, für die ganzen Fasten von einander Abschied; dies ist wahrscheinlich der Ursprung des vielen Fahrens, das nachher an sich zum Vergnügen gemacht worden ist, und auch mitten in der Woche angestellt wird. Da sieht man in Moskau etwa eine Werste von dem neuen kaiserlichen Palast nach dem innern der Stadt zu mehrere tausend Fahrzeuge, vom gemeinsten Korbschlitten an bis zum englischen Wagen hinter einander auf und abfahren, und zwar der russischen Sitte zuwider ziemlich langsam.

--40-- als etwa der gemeine französische Städter nach seiner Karnevalszeit, oder der sächsische Bauer nach seiner Kirmes- und achttägigen Hochzeit Fest, oder der gemeine Engländer nach dem Rausche, für den der Matrose zum Geburtstage des Königs, einige tausend Meilen von seinem Vaterlande mitten in der See, mehrere Wochen spart, wie George Forster irgendwo anführt. Die Volksfeste sind fast überall nicht nur rauschend, sondern auch berauschend. Das Mehr oder Weniger macht allein einigen Unterschied, und da dieser in Russland jetzt gar nicht mehr auffallend ist, so muss man sich weniger an das außerordentliche, als an das gewöhnliche Leben, und an die Folgen halten, die aus demselben wirklich entspringen, oder entspringen sollen.

--41--Storch führt in seinem Gemälde des R. Reichs (Th. I. S. 353 ) an, das vom zwanzigsten bis zum sechzigsten Jahre in St. Petersburg weit mehr als in London sterben, *) und zwar an Krankheiten, die eine Folge der Unmäßigkeit im Gebrauch starker Getränke sind. Das beweist aber wenig gegen die Veränderung, die seit zwanzig Jahren in Rücksicht auf den Gebrauch der starken Getränke vorgegangen sein kann. Denn in den Sterbelisten kann die Veränderung erst in zehn bis zwanzig Jahren bemerkt werden; gleichwohl gehen diejenigen, aus welchen Resultat gezogen worden sind, nur bis 1790. Überdies scheint es mir übereilt, von den Erscheinungen in Petersburg oder auch in Moskau auf das ganze Reich zu schließen, und selbst das "Vielleicht", das Storch S. 349 in dieser Rücksicht wagt, ist in meinen Augen noch zu viel für das Allgemeine und höchstens auf die Städte überhaupt einigermaßen anwendbar.

*) In Ludwig´s Naturgeschichte der Menschenspezies S. 183 findet man das angegebene Übergewicht nur bis in 40 Jahr, dagegen schon von 15 an.

--42--Wie zahlreich ist nicht in Petersburg die Klasse von Menschen, die in allen großen Städten nicht an den vorzüglich guten Einwohnern gehört --- die Bedienten aller Art, und die dort noch weit mehr als an andern Orten versucht ist, ihre Langeweile zu vertrinken.*) Sie ist nicht nur verhältnismäßig größer,**)

*) Unter den Ausnahmen habe ich mit großen Vergnügen bemerkt, das in einem und eben denselben Hause zwei Russen sich zur unabänderlichen Regel gemacht hatten, nie Branntwein zu trinken. Der eine versagte sich sogar allen Genuss des Biers - weil auch dieses berauschte - und das war ein Kutscher.

**) Die Klage, die Storch in seinem Gemälde des R. R. über die Menge der Bedienten führt, (II. Th. S. 358) finde ich fair, und das Gegenteil, das Hupel (Staatsverf. des R. Reichs II. Th. S. 35) behauptet, nicht begründet. In einem Hause, das auf einem eingeschränkten Fuss in Moskau lebt, weil es nur vier bis fünf tausend Rubel höchstens einzunehmen und teils für noch unerzogene, teils für unglücklich geborene Kinder etwas Ansehnliches aufzuwenden hatte, zählte ich für eine Witwe und ihren, zwar erwachsenen, aber noch nicht angestellten Sohn gegen zwölf Glieder der männlichen Dienerschaft. Als einer von den zwei Leibbedienten der Mutter eben des Trunkes wegen abgeschafft werden sollte, war große Not, um ihn sogleich zu ersetzen. Glücklicher Weise fand sich Gelegenheit, einen für 600 Rubel zu kaufen, und man hoffte auf eine ähnliche Gelegenheit, um noch einen für den eben aus dem Kadettenkorbs zurückgekommenen zweiten Sohn, der sich einige Jahre, bis zur Anstellung, bei der Mutter aufhalten sollte, noch einen Bedienten zu kaufen. Vielleicht hat er auch noch eigne Equipage erhalten. Der älteste hatte vier Wagenpferde für sich, so wie die Mutter.

--43-- sondern auch nicht einmal wie in andern Ländern im Stande, zum Teil wenigstens, ihre Zeit mit dem lesen auszufüllen, oder sich einen Genuss zu verschaffen, der mit dem lesen in eine Klasse gesetzt werden könnte. Der Tabak, der sonst noch die Langeweile vertreiben hilft, ist auch nicht im Gebrauch.

--44-- Gleicher Mangel an einem feinen oder doch unschädlichen Genuss drückt auch die große Menge von russischen Krämern und Handwerkern; und haben diese auch nicht so viel Zeit auszufüllen, als die Dienerschaft der Großen, so haben sie ihrer doch immer noch genug übrig, und auf der andern Seite durch ihren verhältnismäßig ansehnlichen Verdienst mehr Mittel, sich den Genuss des Branntweins zu verschaffen. Hierzu kommt, das der bei weiten größere Teil, wie die Herrendiener, entweder nicht verheiratet ist, oder doch Frau und Kind nicht bei sich hat.*) In den mittleren Städten Russlands findet alles gleichfalls, wen nicht ganz, doch gewissermaßen statt.

*) Nach Storch´s statistischer Übersicht des R: Reichs wurden in Petersburg für das Jahr 1789, 148,743 Personen männlichen, und nur 69,463 Personen weiblichen Geschlechts gezählt, ein Verhältnis, das wahrscheinlich in keiner Stadt auf Erden wieder statt findet.

--45-- Eben deswegen passt auch auf sie die Anwendung des Resultats von den Sterbelisten in Petersburg mehr, als in andern Ländern der Schluss von den großen Städten auf die kleineren. Das er aber auch in Russland auf die ganze Nation passe, daran lassen mich folgende Erfahrungen und Tatsachen stark zweifeln. Auf der Hin- und Herreise von Moskau nach Petersburg habe ich nie die geringste Spur von Trunkenheit unter den Postknechten gesehen; ja es hielt auch nicht ein einziger auf dem Wege zum trinken an, obgleich manche Station drei bis vier Meilen lang ist. Noch auffallend war das Betragen der Fuhrleute, mit denen ich zweimal mehrere Tage hinter einander fuhr. In entsetzlichem Schneegestöber, und bei einer fast unerträglichen Kälte fuhren sie bis sechs Meilen nach einander, ohne ein Glas Branntwein zu trinken; und nur einen Tag um den andern baten sie Mittags um einige Kopeken dazu.

--46-- Die übrigen Tage gingen sie weder des Mittags noch des Abends in eine Schenke. Einkehren kann man da auf den Dörfern nicht, sondern sich ins erste beste Bauernhaus einquartieren. Daher kann ich fast mit Gewissheit sagen, das die Ausgabe jedes Fuhrmanns für Branntwein sich in zwei Tagen auf fünf Kopeken einschränkte, wofür man im innern Russland nicht viel Branntwein erhält,*) und damit waren sie sehr zufrieden.

*) Die Krone verkaufte vor dem Jahre 1793 den Eimer (Medro) oder 13 1/4 Dresdner Kannen Kornbranntwein an die Kabaken - Pächter für drei Rubel. Zu diesem Preis muss man bei dem Ausschenken den Vorteil rechnen, den die Pächter ziehen, um die Kosten ihres Gewerbes und ihren Lebensunterhalt herauszubringen. Es ist mir nicht bekannt, das ihnen ein Preis bei dem Ausschenken festgesetzt sei, auch eben nicht wahrscheinlich, da um des großen Vorteils willen ehedem selbst Edelleute Kabaken - Pächter wurden, und Leute zum Ausschenken hielten, welches neuerlich verboten worden. Zur ungefähren Bestimmung der Menge Branntweinfür fünf Kopeken hat mir nur der Unterschied zwischen dem eigentlichen Russland und Liefland gedient. Im letzten bekommt man für fünf Kopeken nur zwei kleine Gläschen, und doch wird, nach einer allgemeinen Meinung, der Branntwein da viel wohlfeiler als im ersten verkauft. Der Preis desselben wurde im Jahre 1793 da nach um die Hälfte erhöht; die Krone soll aber von dieser Erhöhung bei weiten nicht den Gewinn gehabt haben, den sie erwartete; es wurde weniger getrunken. Vielleicht erhöhte sie aber auch nur den Preis, weil sie selbst nicht mehr so wohlfeil kaufen konnte, als ehedem.

--47-- An Geld zum trinken fehlte es ihnen übrigens gar nicht. Sie machten den Weg von Pleskow bis Moskau, ohne etwas von dem gedungenen Lohne voraus zu fordern. Einen Schluss von wenigen Menschen auf die allgemeine Sitte zu machen, ist freilich sehr gewagt. Wenn man aber bei einer Klasse von Menschen, die gewiss mehr als eine andere in Versuchung ist,

--48-- und in andern Ländern die Größe der Versuchung beweist, doch keine Spur davon findet, selbst unter neun Personen nicht, die man genau beobachten konnte (so viel Fuhrleute hatte die Gesellschaft, in der ich fuhr) und wovon nur die kleinere Hälfte gewissermaßen auf Empfehlung, die andere aber ganz aufs gerade wohl gemietet wurde; so ist eine solche Bemerkung schon an sich von keiner geringen Bedeutung, und wird noch wichtiger durch andere, die sie bestätigten. Dahin gehört, das ich in den Bauernhütten, in denen ich mich gewöhnlich zu Mittag sowohl als zur Nacht aufhielt, (es waren Ihrer wenigstens dreißig und gehörten immer den Wohlhabenden) nur bei einem einzigen Wirt einen Hang zum Trunke bemerkte, über den auch seine Frau klagte. Etwas ähnliches fand ich noch in einem einzigen Städtchen. Und selbst diese Klagen können zum Beweis dienen, das im Ganzen die Gesinnungen sehr verbessert sind, wenn sie ja in Rücksicht auf den Trunk ehedem allgemein so verderbt waren, als angegeben wird.

--49/50-- Man klagt nicht eher über Fehler, als bis man sie für das erkennt, was sie sind. Endlich kann man eine Berechnung der andern entgegen, und dadurch das, was etwa noch zweifelhaft sein sollte, fast ganz außer Zweifel setzen. Nach authentischen Nachrichten*) verbrauchte das Petersburger Gouvernement im Jahre 1789; 583,126 Eimer Branntwein und das angrenzende Pleskowsche im Jahre 1785 nicht mehr als 127,000 Eimer, obgleich die Zahl der Einwohner in dem letzten schwerlich geringer ist, als in dem ersten,*) selbst wenn man die Fremden mit den Aufschlag bringt, welche auf den Schiffen ankommen.

*) S. Hupel´s Staatsverfassung des R. R. B. 1. S. 412.

**) Für das Pleskowsche Gouvernement wird überall die Anzahl der Einwohner nahe an 600,000 oder etwas weniges darüber angegeben. Das Petersburger Gouvernement hingegen gehört zu denjenigen, über deren Bevölkerung die Angaben guter Schriftsteller sehr abweichen. Hermann in seiner statistischen Schilderung von Russland setzt mit Ausschluss der Steuerfreien, nach einer wirklichen Zählung 548,554 nach einer ungefähren Schätzung, mit Inbegriff der Steuerfreien im Jahre 1788 = 520,000. Storch in seiner statistischen Übersicht des R. R. gibt für das Jahr 89 ohne die Steuerfreien in der Stadt Petersburg, 577,818 an, und in Pleschtschejew´s Übersicht des R. Reichs von 1787 wird die Anzahl der Einwohner nur auf 367,200 ohne alle Bemerkung gesetzt. Ein Hauptgrund dieser Abweichung scheint mir in der Schätzung der Einwohner von Petersburg zu liegen. Nimmt man, wie Storch, erstlich die Anzahl aller Einwohner in den Kreisen und dann in der Hauptstadt dazu, so bekommt man teils für das einzelne Gouvernement, teils in Beziehung auf die ganze Volksmenge in Russland schwerlich ein richtiges Resultat. In der Stadt nämlich sind eine große Menge Bauern, die schon teils in den Kreisen desselben Gouvernements, teils in andern gerechnet sind. Wie viel dies ausmache, kann man daher sehen, das im ganzen Petersburger Gouvernement nur 11,251 Bürger, Kaufleute u.s.w. samt ihren männlichen Kindern nach der Revision von 1782 gerechnet wurden. (S. Herrmann´s statistischer Schilderung von S. 72 an).

--51-- Noch geringer ist verhältnismäßig der Verbrauch des Branntweins in der Permischen Statthalterschaft. Für 799,000 Einwohner sind nur 164,831 Eimer nötig. Wie groß ferner der Unterschied zwischen den mittleren Städten und dem platten Land sei, sieht man aus einer Angabe in dem angeführten Orte. Von den 127,000 Eimern im Pleskowschen Gouvernement verbraucht die Stadt Pleskow mit ihrem Kreise 40,000 Eimer. Rechnet man auf die Stadt Toropez, welche noch einige hundert Einwohner mehr als Pleskow hat, samt ihrem Kreise auch nur 30,000 Eimer; weil da die Durchfahrt nicht so stark ist: so kommt auf die übrigen sieben Kreise nur 57,000 Eimer, welche Zahl um so viel wahrscheinlicher ist, da für den Kreis von Petschuri ausdrücklich nur 6000 Eimer angegeben werden.

--52-- Die Vergleichung der beigebrachten Angaben mit denen in andern Ländern würde nach meiner Meinung auch endlich zeigen, dass die Völlerei in Russland bei weiten nicht in dem Grade herrscht, als man sie noch gewöhnlich denkt. Zwar wenn es wahr wäre, das zu Berlin im Jahre 1797 nur 4492 Quart Branntwein verschenkt worden sei, wie Biester in dem Berliner Wochenblatt annimmt; so wäre der Unterschied zwischen jener Stadt und Petersburg so ungeheuer, das man, alle Lokal Verhältnisse eingerechnet, doch Petersburg für eine große Saufschenke halten müßte. Aber jene Annahme ist offenbar falsch. Sie bezieht sich auf die Angabe in den Jahrbüchern der preußischen Monarchie und diese geben die gedachte Menge nur für die dreizehn Schenk Krüge in Berlin an.*) Wie viele andere Orte gibt es aber nicht noch, wo Branntwein verkauft wird!

*) S. April S. 352. Wenn übrigens von den Krankheiten auf den häufigen Gebrauch starker Getränke geschlossen werden soll; so muss man denselben für Berlin ziemlich groß annehmen. Nach den Sterbelisten von 1792 bis 94 in der Berliner Monatsschrift starben in diesen drei Jahren von 7,300 erwachsenen Personen 4,29 an hitzigen Fieber, Schlagfluss, Auszehrung und Brustkrankheiten.

--53-- Von mehreren Städten habe ich keine genaue Kenntnis in dieser Rücksicht. Aber auch eine, von der ich sie habe, und die mir vorzüglich geschickt scheint, zur Vergleichung zu dienen, ist von Bedeutung. Diese Stadt ist Freyberg in Sachsen. Es ist da kein großer Handel, keine besondere Klasse, die viel zu vertrinken habe und wirklich trinkt, wie etwa in den Fabrik Städten, keine berüchtigte Unmäßigkeit überhaupt.

--54-- Da wurden im Jahre 1796 nach der Angabe beim Stadt - Impost 12,600 Dresdner Kannen gebrannt, und überdies 1,819 Kannen eingeführt.*) Rechnet man nun auf die Stadt Freyberg mit Inbegriff der um die Stadt zerstreut liegenden Häuser und Vorwerke 10,000 Einwohner, welches das Höchste ist, das man nach der wirklichen Zählung annehmen kann; so kommt auf den Kopf jährlich 1 1/2 Kanne; in der Pleskowschen Statthalterschaft hingegen 2 3/4 Kannen.

*) Ausgeführt wird wenig oder kein Branntwein, eben des Stadt - Impost wegen; und die Angabe muss noch um einige tausend Kannen vermehrt werden, wenn man nach der Wahrscheinlichkeit rechnen will. Es wird nämlich der Scheffel Roggen nur zu sechs und dreißig Kannen angegeben, aber mehr daraus gebrannt.

--55/56-- Das ist nun allerdings noch ein ansehnlicher Unterschied. Indessen muss man, wenn von Völlerei die Rede ist, doch nicht vergessen, das in den Städten fast jeder erwachsene Mensch, und auf dem Lande doch mancher täglich sein Gläschen vor jeder Mahlzeit trinkt, und das dies gerade der Mittelstand männlichen und weiblichen Geschlecht tut, welcher bei uns eher Wein und Bier, als Branntwein trinkt.*) Rechnet man unter 600,000 Menschen 100,000 die jene Gewohnheit befolgen, welches schwerlich zu viel gerechnet ist; so bleibt für die übrigen eine Quantität, die fast in genauer Proportion mit der für Freyberg angegebenen steht. Fände endlich auch diese Proportion nicht ganz statt, so muss man doch billig etwas auf den Unterschied des Klima rechnen, besonders wenn etwa gar der Hang zum Trunk als ein Zug des Russischen Nationalcharakters angesehen wird.
*) Die höheren Stände rechne ich hier deswegen nicht, weil sie ausländische Branntweine oder doch solche trinken, die bei jenem Anschlage wahrscheinlich nicht in Betrachtung gezogen worden sind. Übrigens verdient noch angeführt zu werden, das in Freyberg an Wein 413 Eimer zu 72 Kannen und 558 Kannen einzeln bei dem dasigen Stadt - Impost angegeben sind; eine Menge; die bei der Vergleichung des Übergewicht des Branntweins in Russland gar sehr schwächt.

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